Interview: Franca Trippler von EasyMile

Der Einsatz autonomer Shuttles im ÖPNV - Interview mit Franca Trippler

Durch den Einsatz von autonomen Shuttles in Kombination mit dem ÖPNV können neun von zehn privaten Pkw ersetzt werden: Das stellte die sogenannte Lissabon-Studie im Auftrag der OECD bereits im Jahr 2015 fest. Im selben Jahr prognostizierte das Fraunhofer-Institut IAO in einer Studie, das autonome Fahren werde „bereits vor 2025 technische Reife erlangen“. Die mediale Aufmerksamkeit für das Thema war zu diesem Zeitpunkt riesig – doch seitdem hat sich zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung wenig getan.

Zwar werden autonome Shuttles im Straßenverkehr nach wie vor relativ selten eingesetzt, durch die rapide wachsende Zahl an autonomen Shuttle-Projekten ist jedoch die Wahrscheinlichkeit groß, dass sich das bald ändern wird. Und nicht nur die Technologie schreitet rasant voran, auch das öffentliche Interesse ist wieder vorhanden. So hält es der Journalist und Mobilitätsexperte Don Dahlmann in einem Artikel im Magazin Gründerszene nur für „eine Frage der  Zeit, bis der Markt der autonomen Shuttles eine Größe von mehreren Milliarden Euro erreichen wird.”

Zeit für eine Bestandsaufnahme: Wir haben mit Franca Trippler von EasyMile über den Einsatz autonomer Shuttles im ÖPNV gesprochen. Das französische Unternehmen mit Standort in Berlin entwickelt seit 2014 Software für autonome Fahrzeuge und arbeitet mit namhaften Fahrzeugherstellern zusammen.

Die bekannteste Lösung von EasyMile ist das EZ10 Shuttle, das für den Personenverkehr eingesetzt wird – ein sogenannter People Mover. Ihr habt jedoch auch andere Fahrzeuge in Portfolio. Wie kann man sich das vorstellen?

Genau, wir arbeiten mit Fahrzeugherstellern weltweit zusammen. Das elektrische Shuttle EZ10 wird beispielsweise von Ligier, einem französischen Hersteller von Leichtkraftfahrzeugen gefertigt. Mit IVECO Bus arbeiten wir gerade an einem autonomen Bus, der künftig 100 Passagieren Platz bieten soll.

Unsere Aufgabe besteht darin, die Fahrzeugplattformen unserer Partnerunternehmen zu automatisieren. Das bedeutet, dass wir die Software auf die schon bestehende Hardware-Plattform aufbauen. Die Hardware wird also beispielsweise von Ligier bereitgestellt, wir setzen unser Sensor-Set darauf und entwickeln die Software dafür. Diese Software verarbeitet dann die Daten der Sensoren und analysiert sie – z.B. welche Hindernisse, Fahrzeuge oder Personen sich in der Umgebung befinden. Durch die Echtzeitverarbeitung der Daten kann das fahrerlose System entsprechend schnell reagieren, also verlangsamen, losfahren, anhalten etc.

Noch vor wenigen Jahren bin ich bei einer Probefahrt in einem autonomen Fahrzeug vor jedem herabfallenden Blatt stehengeblieben, und das im Herbst. Was hat sich seitdem getan?

Die Voraussetzung für autonomes Fahren ist eine reibungslose Umfelderkennung, also die korrekte Wahrnehmung und Verarbeitung der Sensordaten aus Kamera-, Laser- und Lidar-Radarsystemen. Zuverlässigkeit ist hier natürlich das A und O. In den letzten Jahren hat sich bei der Weiterentwicklung solcher Sensoren viel getan, eine gewisse Empfindlichkeit ist aber nach wie vor da. Derzeit schränken beispielsweise widrige Wetterbedingungen wie starker Schneefall, Regen oder Nebel, hochautomatisierte Mobilitätsangebote noch stark ein. Viele sehen darin eine der letzten verbleibenden Herausforderungen auf dem Weg zum autonomen Fahren, aber auch hier entwickelt sich die Technologie ständig weiter.

Kannst du ein, zwei konkrete Beispiele nennen, wo ihr in Deutschland schon im Einsatz seid?

Zum Beispiel setzen wir seit September 2021 eine Flotte aus 3 EZ10s im Hamburger Stadtteil Bergedorf ein, um ein Wohngebiet mittels On-Demand Service an den nahegelegenen Bahnhof anzuschließen. In Berlin haben wir ein ähnliches Projekt, allerdings wird dort eine Linie abgefahren, wie bei einem herkömmlichen Busservice auch. In Monheim am Rhein werden unsere Shuttles dafür eingesetzt, um die historische Altstadt mit ihren engen Gassen zugänglich zu machen – da würde ein Standardlinienbus nämlich schlicht nicht hindurchpassen.

Aber auch in ländlichen Gebieten setzen wir unser Shuttle häufig ein, um Ortschaften auch außerhalb der Stoßzeiten besser anzubinden. Aber auch auf Privatgelände sind wir unterwegs, und da schon oft vollständig fahrerlos, um beispielsweise einen „Transport Burnout“ von weitläufigen Firmengeländen oder Businessparks zu vermeiden. Das bedeutet, unsere Lösung will mit einem standortinternen Mobilitätsangebot die Menge an Individualverkehr und damit verbundene Parkplätze auf Werks- und Firmengeländen reduzieren.

Wo stehen wir in Deutschland derzeit in der Entwicklung und im Einsatz von automatisierten Fahrzeugen?

Im europäischen Vergleich liegt Deutschland weit vorn mit dem kürzlich verabschiedeten Gesetz zum autonomen Fahren. Bis zum Jahr 2022 sollen laut Bundesregierung Fahrzeuge mit autonomen Fahrfunktionen in den Regelbetrieb starten. Allerdings müssen bis dahin die Technologie und auch die standardisierten Prozesse beim Bau, der Zulassung oder der Datenverarbeitung der autonomen Fahrzeuge noch weiter verbessert werden. Unser Nachbarland Frankreich hat beispielsweise ein ganz ähnliches Gesetz verabschiedet, das bis September 2022 umgesetzt werden soll.

Derzeit sind autonome Fahrzeuge noch sehr teuer. Ab wann rechnet sich der Einsatz von autonomen Shuttles, bzw. die Anschaffung eines autonomen Shuttles im ÖPNV? Werden die Fahrten dann auch teurer für die Fahrgäste?

Wir haben eine individuelle Kostenstruktur, die wir auf unsere Kunden zuschneiden. Unser Shuttle rechnet sich grundsätzlich überall, wo ein Standard-Linienbus von der Kapazität her nicht gebraucht wird. Unsere Fahrzeuge sind alle voll elektrisch und brauchen keinerlei zusätzliche Infrastruktur oder Ressourcen: Theoretisch lassen sich die Shuttles sogar über eine herkömmliche Steckdose laden. Der Einsatz autonomer Fahrzeuge ist also gar nicht so teuer wie häufig angenommen und lohnt sich für den ÖPNV besonders dann, wenn die sogenannte erste- oder letzte Meile zum nächsten ÖPNV-Knotenpunkt mit unserer Lösung erleichtert werden kann.

Was ist der größte Kostenfaktor für Verkehrsbetreiber?

Das sind sicherlich die Personalkosten. Wir haben schon über das kürzlich verabschiedete Gesetz zum autonomen Fahren gesprochen, im nächsten Jahr könnte dann der Sicherheitsbegleiter für bestimmte Strecken vollständig von Bord genommen werden. Trotzdem sind diese Positionen damit keinesfalls überflüssig, denn die Überwachung solcher autonomen Fahrzeuge muss ständig gewährleistet sein. Aus einer digitalen Leitwarte lassen sich dann die Strecken und Fahrzeuge überwachen und Mitfahrende können sich über einen Knopf im Fahrzeug mit der Leitwarte verständigen, sollte es ein Problem an Bord geben. Das ist sehr kosteneffizient, denn so kann ein:e Mitarbeiter:in mehrere Fahrzeuge gleichzeitig überwachen.

Wir haben noch eine Abschlussfrage für Sie, die wir allen unseren Expert:innen im Interview stellen: Mit welchem Verkehrsmittel werden Sie 2035 zur Arbeit fahren?

Ich wohne in Magdeburg, direkt am Stadtpark in der Nähe vom Magdeburger Dom. Und in diesem Stadtpark fährt tatsächlich eines unserer Shuttles. Immer wenn ich aus dem Wohnzimmerfenster schaue, fährt dieses Shuttle ganz ruhig über die Brücke in den Stadtpark und die Leute hier sind begeistert. Wenn ich das so sehe, bin ich ziemlich zuversichtlich, dass solche Mobilitätslösungen ein Teil meines Arbeitsweges im Jahr 2035 sein werden.

Vielen Dank für das Interview! Das war das vorerst letzte Gespräch unserer Interview-Reihe mit Vordenker:innen aus dem Bereich Mobilität – doch da die Entwicklungen in diesem Themenfeld so rasant wie vielfältig sind, besteht noch viel Potenzial für weitere spannende Gespräche.

Trippler portrait

Autor:in

Franca Trippler

Franca Trippler ist Marketing Communications Lead bei EasyMile – dem führenden Softwareunternehmen für autonomes Fahren.